Das Ajna Chakra -das Dritte Auge
- freiburghausnora3
- 9. Nov.
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Das Ajna Chakra – auch bekannt als Stirnchakra oder Drittes Auge – liegt zwischen den Augenbrauen, leicht oberhalb der Nasenwurzel. In der yogischen Tradition gilt es als Zentrum der inneren Schau, der Intuition und der geistigen Klarheit. Der Sanskrit-Begriff Ajna bedeutet „Befehl“ oder „Wissen“ – es ist der Ort, an dem wir nicht mehr nur mit den Sinnen wahrnehmen, sondern mit dem inneren Auge sehen. Hier beginnt die Auflösung der Dualität, und das Denken tritt zurück zugunsten eines tieferen, stilleren Erkennens.
Dem Ajna Chakra wird das Element Licht zugeordnet – nicht das physische Licht, sondern das Licht des Bewusstseins. Es ist das Chakra, das uns erlaubt, über die Oberfläche hinauszublicken, Muster zu erkennen, Zusammenhänge zu durchdringen und uns mit einer tieferen Wahrheit zu verbinden. Es ist kein Ort des Denkens im herkömmlichen Sinn, sondern ein Raum des inneren Sehens – jenseits von Logik, jenseits von Emotion, jenseits von Ich und Du.
In der Chakra-Lehre ist das Ajna Chakra das sechste Hauptenergiezentrum. Es steht für die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten – nicht als mentale Übung, sondern als direkte Erfahrung: Ich bin nicht meine Gedanken. Ich bin nicht meine Emotionen. Ich bin nicht mein Körper. Ich bin das Bewusstsein, das all dies wahrnimmt. Diese Qualität des inneren Beobachters – in der yogischen Philosophie als Sakshi bezeichnet – ist der Schlüssel zur Erfahrung des wahren Selbst. Es ist ein Zustand von Präsenz, Weite und Stille, in dem sich das Ich auflöst und etwas Tieferes zum Vorschein kommt.
Manchmal ist es jedoch nicht leicht, diesen inneren Abstand zu finden. Gedanken und Emotionen können sich so dicht anfühlen, dass sie kaum Raum lassen für Klarheit. In solchen Momenten hilft es mir persönlich, eine Balance-Haltung zu üben – etwa den Baum oder die Tänzerin. Etwas richtet sich dabei in mir aus, wird still. Und wenn ich danach das Mantra OM rezitiere, öffnet sich ein feiner Raum zwischen mir und meinen Gedanken, zwischen mir und meinen Gefühlen. Es braucht nicht viel – nur Präsenz, Atem und Klang. Und plötzlich ist da ein Abstand. Ein innerer Ort, von dem aus ich beobachten kann, ohne mich zu verlieren. In diesem Raum lassen sich Emotionen und Gedanken leichter einordnen – sie dürfen da sein, aber sie bestimmen mich nicht mehr.
Das Ajna Chakra ist eng verbunden mit der Zirbeldrüse und der Hypophyse – jenen feinen Steuerzentren im Gehirn, die unsere hormonelle Balance und unser inneres Gleichgewicht beeinflussen. Auch das Nervensystem, insbesondere das vegetative System, wird durch dieses Chakra harmonisiert. Ida und Pingala – die beiden Hauptenergiekanäle, die für die weibliche und männliche Energie stehen – kreuzen sich hier und führen weiter zum Scheitelpunkt der spirituellen Erfahrung. Wenn diese Energien in Balance sind, entsteht ein Zustand von geistiger Klarheit, innerer Ruhe und intuitivem Wissen.
In der Praxis kann das Ajna Chakra durch Meditation auf den Punkt zwischen den Augenbrauen aktiviert werden. Auch Tratak – das stille Betrachten einer Kerzenflamme – oder die Rezitation des Mantras OM unterstützen die Öffnung dieses Zentrums. Atemübungen wie Nadi Shodhana helfen, Ida und Pingala auszugleichen und die Energie sanft zum Dritten Auge zu lenken. In der Visualisation wird oft ein tiefes Indigoblau oder ein violettes Licht verwendet, das sich im Stirnbereich ausdehnt.
Shai Tubali, spiritueller Lehrer und Autor, beschreibt das Ajna Chakra als das Tor zur transpersonalen Erfahrung. Für ihn ist es der Ort, an dem mentale Transparenz entsteht – Gedanken werden nicht mehr unterdrückt oder analysiert, sondern durchschaut. Es ist der Raum, in dem das Ego seine Kontrolle verliert und das wahre Selbst – das stille, weite Bewusstsein – in den Vordergrund tritt. Tubali betont, dass das Ajna Chakra nicht nur Intuition schenkt, sondern auch eine tiefe innere Freiheit: die Freiheit, nicht mehr reagieren zu müssen, sondern aus Klarheit zu handeln.
Dem Ajna Chakra wird der Planet Merkur zugeordnet – als Symbol für geistige Beweglichkeit, Kommunikation und Erkenntnis. In manchen Traditionen auch Saturn, der für Tiefe, Struktur und Konzentration steht. Der zugehörige Wochentag ist Mittwoch – ein Tag der geistigen Ausrichtung. Als Entwicklungsphase entspricht dieses Chakra der Pubertät bis zum frühen Erwachsenenalter – jener Zeit, in der wir beginnen, uns selbst zu reflektieren, Fragen zu stellen und über das Sichtbare hinauszudenken.
Wenn das Ajna Chakra blockiert ist, kann sich der Blick nach innen trüben. Die Gedanken kreisen, ohne Richtung. Emotionen wirken überwältigend, weil der innere Abstand fehlt. Es fällt schwer, Entscheidungen zu treffen oder intuitiv zu spüren, was wirklich stimmt. Man verliert sich in mentaler Aktivität, in Grübeln, in Kontrolle. Auch körperlich kann sich das zeigen – durch Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Augenmüdigkeit oder Nervosität. Die Verbindung zur inneren Führung scheint unterbrochen, und die Welt wirkt diffus oder überfordernd.
Im Alltag zeigt sich ein geöffnetes Ajna Chakra in Momenten der Klarheit – wenn du plötzlich weisst, ohne zu denken. Wenn du dich selbst liebevoll beobachten kannst, ohne dich mit deinen Gedanken oder Gefühlen zu verstricken. Wenn du erkennst, dass du nicht das bist, was du erlebst – sondern das Bewusstsein, das all dies trägt.
Das Ajna Chakra lädt dich ein, still zu werden. Hinzuhören. Hinzusehen. Und dich zu erinnern: Du bist mehr als dein Körper. Mehr als deine Geschichte. Mehr als dein Denken. Du bist Bewusstsein – weit, still, verbunden.




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